: Deutschstunde mit Sarottimohr
Ein perfekter Nachmittag für Alemannia Aachen: Zum duselvollen 2:1 gegen Bochum passten Peinlichkeiten im Antirassismuskampf. Manager nennt Spiel des Heimteams „eine Katastrophe“
AUS AACHENBERND MÜLLENDER
Es war ein grotesker Nachmittag auf dem Tivoli, zu dem es keine zwei Meinungen geben konnte: „Das war sehr, sehr glücklich heute“, wusste Aachens Chefcoach Michael Frontzeck. „Unheimlich frustriert“ war Bochums Übungsleiter Marcel Koller, denn „unser Konzept war 1:1 aufgegangen“. Nur war das Spiel 1:2 ausgegangen, dabei wäre ein 4:0 für Bochum korrekt gewesen. Diskussionswürdig blieb allein das: Waren Aachens Defensivtölpeleien dilettantischer oder doch das Gestümper nach vorne?
Ball paradox: Ein spielfreudiger und flinkfüßiger VfL beherrschte Aachen gut 89 Minuten lang nach Belieben, konnte neben Misimovics Führungstreffer (37.) fast ein Dutzend guter Gelegenheiten verbuchen und einen Treffer von Butscher (87.), der fälschlichwerweise wegen einer Art gefühltem Oberarmabseits vom Assistenten weggewunken wurde. Alemannia genügte die 48. Minute: Da hatten sie in weniger als 60 Sekunken „völlig aus der Luft“ (Koller) zwei Tore geschossen, erst Schlaudraff, dann Rösler. Dabei war „der Gegner doch kaputt“, klagte der arme Koller.
Für Alemannia war es ein perfekter Nachmittag. Neben dem Sieg galt es Jan Schlaudraff zu feiern, nach Michel Pfeiffer der erste Alemanne seit 52 Jahren mit Berufung in die DFB-Elf. Dann traf Schlaudraff auch noch – mit seiner einzigen gelungenen Aktion. Wesenscool erzählte der verschmähte Exgladbacher, wie „relativ sprachlos“ er gewesen sei, als ihn Jogi Löw morgens beim Brötchen holen anrief und wie „natürlich sehr stolz“ er sich seitdem fühle. Vom Trainer („Es ist eine Notberufung, aber sie kommt für Jan nicht zu früh“) musste sich Schlaudraff sagen lassen: „Der Junge ist klar im Kopf und wenn nicht, trete ich ihn in den Arsch.“
Und dann waren da die gewissensberuhigenden Aktionen und Reden gegen Rassismus nach den „Asylanten“-Rufen einiger erregter Dumpfköpfe gegen Mönchengladbach, die zur Rekordstrafe von 50.000 Euro geführt hatten. Gegen Bochum wurde höchstens mal „Ruhrpottkanaken“ skandiert – ein herkunftsbeleidigender Ruf, der straffrei ist, auch wenn der „Kanaker“ im Ursprung eine Verhöhnung der europäischen Herrenmenschen für die Südsee-Insulaner war. Auch der Schiedsrichter wurde nicht „Schwarze Sau“ gerufen – denn provokationshemmend trug Herr Wagner feuerrot, und „Rote Sau“ wäre höchstens politisch und nicht rassistisch interpretierbar.
Die Fans gaben sich große Mühe um Wohlanständigkeit. Da fiel auch niemandem auf, wie grenzrassistisch ein gut gemeintes Tribünen-Spruchband „Moses ist unser Freund“ wirkt. Man muss das bei einem Club mit Namen „Deutschland“ (= Alemannia) offenbar betonen, nur weil Moses Sichone halt schwarze Hautfarbe hat.
Ins Kuriositätenkabinett für deutschen Gutmenschengeist schaffte es der offizielle Alemannia-Antirassiusmusspot, eilig in dieser Woche produziert: Neben inhaltlichen Schnitzern (Linksfuß Emil Noll schießt mit rechts) musste Kapitän Reiner Plaßhenrich aufsagen: „Die Hälfte aller Tore werden von Ausländern geschossen.“ Und die andere Hälfte werden als Eigentore von depperten Werbeagentoren erzielt? „Mohr&More“ heißt die pluralistische Firma und nennt sich „Offizielle Lead-Agentur der Alemannia Aachen“. Vielleicht hätten ein halber Sarottimohr bessere Lead-Deutsch gekonnten.
Ach, es gibt doch zwei Meinungen: Das Kompetenzblatt Bild am Sonntag jubelte den schwachen Schlaudraff („Aachen schlau drauf“) in den Himmel und benotete die Aachener Spieler besser als die Bochumer. Immer auf die Sieger, immer mit den Glücklichen. So viel leistungsdiskriminierender Kotau ist noch grotesker das Spiel. Richtig klar im Kopf blieb nur Aachens Sportdirektor Jörg Schmadtke – er nannte die Vorstellung, die seine Elf als besten Aufsteiger auf Platz 6 katapultierte, „eine Katastrophe“.